SERIE Von Vertrauen und Wundern in meinem Leben - Nr. 2 "Haufenweise Skripten"

Bei meinen treuen LeserInnen hat es sich bestimmt herum gesprochen, dass ich ab meinem 27. Lebensjahr alleinerziehende Mutter war. Um mehr Zeit mit meinem Kind verbringen zu können, entschloss ich mich, meinen Beruf zu wechseln. Aus der Abteilungssekretärin in einem Pharma-Betrieb sollte eine Lehrerin werden. Doch dazu brauchte man eine pädagogische Ausbildung und die Lehramtsprüfung! Thomas war gerade mal vier Monate jung, und ich im Karenzjahr, als der damals noch einjährige Kurs im September am Pädagogischen Institut in Wien begann. Für mich bedeuteten die täglichen Schulstunden von jeweils acht bis vierzehn Uhr noch mehr Stress, als bisher, da ich meinen kleinen Sohn noch vor Kursbeginn entweder bei meiner Mutter abliefern durfte, oder Oma kam zu mir auf Enkel Thomas aufpassen, dann war es ein bisschen leichter mit der Zeiteinteilung. Es verging damals kein Wochentag, an dem ich nicht mit voll gestopftem Hirn am Nachmittag wieder daheim saß, bei meinem kleinen Buben. Füttern, Windel wechseln, Wäsche waschen, einkaufen … und lernen – das sollte ich natürlich auch! Der viele Stoff, die neuen Unterrichtsfächer, das alles zu verdauen verschob sich meistens in die Nachtstunden, wenn überhaupt! Klein Thomas wachte nämlich jede Nacht pünktlich um 2:30 auf und schrie um sein Fläschchen. Nach etwas mehr als drei Monaten Ausbildungszeit, so Mitte Dezember war es, versagten bei mir die Nerven … nicht nur teilweise, sondern komplett. Ich schaffte den imaginären Berg, der vor mir lag, nicht mehr. Als „Mutti allein zu Haus`“ vollkommen ausgelastet, sollte ich mich noch dazu täglich mit vielen neuen Themen als werdende Stenotypielehrerin auseinander setzen. Zu viel für meinen Kopf und viel zu viel für mein trauriges Herz. Von Thomas` Vater konnte ich keine Unterstützung erwarten, er hatte sich mehr oder weniger aus dem Staub gemacht. Kurzum klappte ich eine Woche vor Weihnachten zusammen, das nennt man Nervenzusammenbruch. Ich warf alles hin, was mir vordem wichtig gewesen war. Ein neuer Beruf, für mich? Unsinn, das schaffe ich nicht und ich will auch nicht mehr. Der kleine Bub dort in der Gehschule? Was soll er bloß mit einer Mutter, die keine Kraft mehr hat, keine Hoffnung und keine Perspektive? Selbst die tröstenden Worte meiner Mutter halfen mir nicht mehr heraus aus der Krise. Obwohl Oma immer wieder zur Stelle war, um mit klein Thomas eine Runde auf die Donauwiese zu machen, weil mir selbst ein Spaziergang mit dem Kinderwagen zu viel war. Ende. Aus. Punkt.

 

Ich ließ mich treiben, weinte viel, war lustlos … weil es mir wirklich egal war, was aus mir und meinem Kind einmal werden sollte. Bis eines Tages …

 

Mitte Jänner, kurz nach Mittag war es, klopfte jemand an meine Wohnungstür. Ziemlich überraschend um diese Uhrzeit, da ich mit meiner Mutter für diesen Tag keinen Babysitter-Termin vereinbart hatte. Kurz durch den Türspion geschaut, erkannte ich eine Kollegin aus dem Ausbildungsslehrgang, die ich oberflächlich von den Pausen zwischen den Unterrichtsstunden kannte. Vielleicht hatten wir in den drei Monaten meiner dortigen Anwesenheit vier, fünf belanglose Sätze gewechselt, mehr nicht. Und jetzt stand sie da vor meiner Tür mit einem rieseigen Stapel Skripten in Händen. „Servus Christa! Entschuldige bitte den Überfall, aber du hast kein Telefon abgehoben. Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht, ich soll dich von allen Kursleuten herzlich grüßen!“ Eva hieß sie, das fiel mir im selben Moment ein. „Weil es dir derzeit nicht so gut geht, haben wir uns für dich etwas ausgedacht. Hoffentlich bist du einverstanden?“ Berührt, ja fast zu Tränen gerührt, mischte sich gleichzeitig eine Riesenportion Ablehnung bei mir dazu. Mein Innerstes war aus vormalig trostlosem Einerlei heraus katapultiert worden, durch ein menschliches Wesen, das mir offensichtlich Hilfe anbot!Wir – und damit ist einstimmig die ganze Crew aus unserem Lehrgang gemeint – haben folgendes beschlossen: So lange du es brauchst, bringen wir dir jeden zweiten Tag die neuen Skripten mit dem Lernstoff vorbei, damit du erstens zu Hause bei deinem Kind bist und zweitens damit du im Juni zur Lehramtsprüfung antreten kannst. Wir haben auch mit der Direktion gesprochen. Du darfst die Ausbildung ausnahmsweise im Fernstudium absolvieren, bis du wieder fit bist. Was sagst du dazu?“

 

Tja, was sagt jemand, der seit Wochen im Bodenlosen dahin gestolpert war? Der sich mit diesem Zustand bereits arrangiert hatte? Der jegliche Hoffnung beiseite geschoben hatte, nur um nicht noch mehr enttäuscht zu werden? Was sagt so jemand in einem Augenblick des Lichts? „Komm herrein Eva.“ Da war sie wieder, meine Beherrschtheit vor anderen Leuten! Dabei standen mir die Tränen bis zum Hals, sie drohten heraus zu kullern als Beweis für meine jämmerlich schwache Verfassung – so dachte ich wirklich damals über berührende Tränen, die von selbst – einfach so – über die Wangen fließen.

 

Zwölf fremde Menschen, die so wie ich eine Ausbildung besucht hatten, um später als LehrerInnen tätig zu sein, hatten mir zwei Wunder geschenkt. Das Wunder der Anteilnahme am Leben einer verzweifelten, jungen Mutter und das Wunder der selbstlosen Hilfestellung. Bis Mitte April kam verlässlich und pünktlich jeden zweiten Tag ein Skriptenbote zu mir! Im Juni bestand ich dann die Lehramtsprüfung mit gutem Erfolg. Bis zu meiner Pensionierung im Jahr 2003 blieb der Lehrberuf meine Berufung! Den „Zwölf Aposteln“ tausend Dank.

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Kommentare: 3
  • #1

    Margit (Montag, 17 August 2015 10:43)

    Das ist eine wundervolle Geschichte. Sie erinnert mich an eines der Wunder die auch ich erleben durfte. Solche Geschichten geben Mut und die Kraft, weiter zu machen wenn man keinen Ausweg mehr sieht. Und vor allem dass immer wieder ein neues Wunder passieren kann wenn man glaubt es geht nicht mehr! Danke Christa!

  • #2

    einfachChrista (Dienstag, 18 August 2015 00:30)

    Ja liebe Margit! Es GIBT diese Wunder. Wir müssen sie nur als solche erkennen ... um sie dann wieder ins Herzensgedächtnis rufen zu können, wenns wieder mal (scheinbar) keinen Ausweg zu geben scheint. Danke für deinen Kommentar.

  • #3

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